Wien - Paris - Rabenstein

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Text: Prof. Peter Skalicky

Prof. Dr. Peter Skalicky

Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts trugen sehr elegante und vornehme Geschäfte Aufschriften wie "Wien-Paris-London-Badgastein". Damit sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass das vornehme internationale Publikum, das in diesen Geschäften einkaufte, eben damit rechnen konnte, in diesen Städten und Kurorten jederzeit mit den gleichen feinen Sachen versorgt zu werden, da man eben nicht von einer Filiale des feinen Geschäftes zu weit entfernt war und daher auf nichts verzichten müsse.

Die Zeiten sind leider vorbei und das vornehme Publikum, das früher noch mit der Titanic gereist wäre, wenn sie nicht gleich bei der Jungfernfahrt einen Eisberg gerammt hätte und gesunken wäre, unternimmt Flugreisen zu exotischen Destinationen und ist nicht mehr darauf angewiesen, das gleiche Rasierwasser wie in Paris, in Wien und Badgastein auch in Marbeilla zu finden. Im Übrigen gibt es heutzutage ohnedies überall das gleiche, im Pielachtal genauso wie In St.Pölten oder in Wien. +#

Dirndltal

helle und dunkle Dirndln zur Erntezeit im August und September

Auf alles trifft dies allerdings wieder nicht zu. "Dirndln" gibt es wirklich hauptsächlich im "Dirndltal", also bei uns hier - und für das Privatleben, also die „Ansässigkeit“ oder den „Wohnsitz“, wie das im Amtsdeutsch heißt, gilt das naturgemäß auch nicht. Dieses ist eben überall anders und es ist nicht gleichgültig, wo man zu Hause ist. In unserem Fall, also im Fall meiner Frau (Die aus Frankreich kommt) und mir, ist das jedenfalls so.

Wir sind in Wien, in Paris und Rabenstein zu Hause und im Dirndltal vielleicht sogar besonders. Gleich merkt man das gar nicht, wir sind ja typische "Zuagraste" wie gesagt aus Wien und aus Paris. Unser Haus wurde in den 1960er Jahren vom Primarius Dr.Kotek und seiner unvergesslichen Frau, der berühmten (und gefürchteten) Professorin für Römisches Recht an der Universität Wien, Bolla-Kotek gebaut. Leider konnten sie von ihrem Haus, das damals noch ganz isoliert in der Dorf-Au stand, kaum etwas haben, da beide überraschend und kurz hintereinander verstorben sind, bevor das Haus fertiggestellt war. Heute erinnert ein Bild im Bücherschrank an die elegante Herrenreiterin Bolla-Kotek in dem Haus, in dem wir seit damals respektvoll Wurzeln geschlagen haben.

Steinschaler Gärten

Lebenszeit ist kostbar und wer zumindest einen guten Teil davon im Dirndltal verbringen kann, darf sich glücklich schätzen. Hier beginnt sozusagen das Alpenvorland und wer auf die Europakarte schaut, sieht den Alpenbogen und die Lage unseres Tales im Alpenvorland. Europäische Weitwanderwege gehen hier vorbei und im Prinzip könnten wir durchaus unsere anderen Wohnsitze auch wandernd erreichen, wenn das nicht so beschwerlich wäre. Mir genügt eine Wanderung auf die Ruine Rabenstein.

Manchmal kommt ein Weitwanderer beim Haus vorbei und erzählt, dass er vom Plattensee oder womöglich von Grenoble kommt. Natürlich ist das viel erlebnisreicher und schöner als das Flugzeug, in dem man sardinenmäßig befördert wird. Na ja, und die CO2 Bilanz? Im Zeitalter der „Klimakatastrophen“ müsste man ausrechnen, was man an CO2 ausschnauft, wenn man ein paar hundert (oder tausend) Kilometer bergauf und bergab geht. Das Flugzeug ist aber eben schneller und dafür hat man dann mehr Zeit zu Hause.

In Wien oder Paris zu Hause zu sein ist auch schön, natürlich, aber den Übergang von der bebauten zur unbebauten Landschaft, den Wald und den Fluss vor der Haustür gibt es dort eben nicht. Als ich das erste Mal nach Rabenstein kam (in den 60er Jahren), war das wirklich noch sehr "ländlich"; wie man das damals nannte. Es gab gerade einmal ein Kaufhaus, ein Gasthaus, ein wunderbares Postamt wie aus einem alten Film und das Gemeindeamt und das Sägewerk. Die Güterwege waren staubige Straßen. Die Dorf-Au habe ich fast nicht gefunden.

Aber es war wunderbar, es hat nach Heu gerochen und man konnte den Hahn krähen hören. Seltsamerweise kannte ich ein anderes Rabenstein, nämlich das in der Nähe von Chemnitz, das damals noch Karl-Marx-Stadt hieß, sogar noch früher als unseres und ich hätte mir nicht träumen lassen, dereinst ein Bürger von Rabenstein an der Pielach zu sein, von dem ich damals noch gar nichts wusste. Von Dirndln war damals noch kaum die Rede. Und übrigens wurde mir erklärt, es handle sich um "Kornellkirschen". Heute würde ich mich nicht mehr getrauen, das zu verwechseln, schon gar nicht im Steinschalerhof, wo der Johann Weiss regiert. Der ist zwar Mathematiker, als Botaniker jedoch lässt er nicht einmal eine Verwechslung von Dirndl mit dem roten Hartriegel durchgehen. Alle Welt weiß jetzt, dass es sich um den gelben Hartriegel handelt. Und mittlerweile haben wir Dirndl Schnaps, Marmelade, Dirndl Chutney (!), und sogar Dirndl Seife.

Natürlich hat sich das Pielach-, also das Dirndl-Tal seit meinem ersten Besuch verändert, aber Gott sei Dank nicht bis zur Unkenntlichkeit. Das Voralpenland ist noch genauso wie früher, die Pielach ist noch immer einer der saubersten Flüsse Europas, in der sogar Huchen gesetzt wurden. Die Güterwege sind jetzt asphaltiert und haben Straßenschilder (damit der Briefträger sich nicht verirrt) und natürlich gibt es eine Straßenbeleuchtung. Leider ist die gelb, aber zumindest fürchtet man sich nicht, wenn man in der Nacht nach Hause kommt, vor wilden Tieren. Das ist die moderne Zeit, dass die Attribute der Stadt Einzug halten.

Meine Frau, die Paris gewöhnt ist, freut sich über die Nachbarn und die Straßenbeleuchtung und darüber, dass sie deswegen wahrscheinlich keinen wilden Tieren begegnen wird. In Paris passiert einem ja sowas auch nicht. Dort wird man höchstens vom Autobus überfahren (wie ihre Großmutter). Als sie gelesen hat, dass die übergeschnappten Österreicher Luchse, Bären und womöglich herzige Jungwölfe aussetzen, wollte sie die Straßenlaterne gleich möglichst nahe am Haus haben. Rund um die Hütte ihres Bruders in den französischen Alpen gibt es zwar auch Wölfe, das sind aber französische Wölfe, die sind harmlos.

So freuen wir uns also des Lebens im Dirndltal, multikulturell sozusagen, trinken grünen Veltliner aus Niederösterreich und französischen Rotwein, sind viel zu selten da, und freuen uns, dass die totale Globalisierung noch nicht flächendeckend eingetreten ist.

Die Weltrekordlok 1099-1 - Baujahr 1910

Und die Mariazellerbahn? Ohne diese Bahn wäre das Dirndltal nur das halbe Dirndltal. Auch wenn wir die Bahn nicht täglich als Verkehrsmittel nutzen (mit schlechtem Gewissen, denn wer die Mariazellerbahn will, muss auch damit fahren), so sehen wir doch zu, mit allen ausländischen Gästen nach Mariazell oder zumindest nach Gösing, also über die Bergstrecke zu fahren. Ein einmaliges Erlebnis, besonders im Winter. Einer amerikanischen Delegation von Wissenschaftlern, unter der auch Eisenbahn-Freaks waren, hat der Stationsvorstand von Gösing auf die Frage der Amerikaner, ob es hier im Winter viel Schnee gäbe, erklärt, es gäbe so viel Schnee, dass er einmal nahezu zwei Wochen an derselben Stelle geschaufelt hätte, ohne dass der Schnee weniger geworden sei. Die Amerikaner waren begeistert.

Früher, vor zwanzig Jahren, waren die Orte des Pielachtales noch viel verschlafener als heute, dafür aber hatte die Mariazellerbahn einen Anschluss an den Orientexpress, mit dem wir damals manchmal zehnmal im Jahr nach Paris gefahren sind. Als meine Frau, aus Paris kommend und anfangs noch nicht heimisch im Pielachtale, im Bahnhof Rabenstein eine Schlafwagenkarte nach Paris kaufen wollte, wurde das als sehr exotisch empfunden. Dennoch haben wir den direkten Anschluss der Mariazellerbahn an den Orientexpress (in beiden Richtungen) sehr geliebt. Immerhin gibt es die Mariazellerbahn noch immer, den Orientexpress aber nicht mehr. Ich selbst bin sogar ein Jahr lang jeden Tag von St.Pölten mit dem Orientexpress ins Büro nach Wien gefahren (und habe im Zug ein Frühstück bekommen). Und konnte so beim Mikrozensus auf die Frage: "welches Verkehrsmittel benützen Sie von ihrem Wohnort zu Ihrer Arbeitsstelle" eintragen: "Den Orientexpress". Das ist fast wie "Wien-Paris-Rabenstein". Das war aber nicht Angeberei mit einer Jet-Set Attitüde, sondern im Gegenteil, so entsteht erst richtig ein "Heimatgefühl". Mir gefällt dieser Begriff sehr. Wer viel fort ist, kommt eben auch gerne nach Hause.

Erster Dirndlpate Kardinal Dr. Franz König

Zum Heimatgefühl trägt natürlich auch die Geschichte bei, die sich in wichtigen Begebenheiten und Begegnungen unseres Lebens manifestiert und im Pielachtal ist dies untrennbar mit dem großen Sohn unserer Heimat, Kardinal König, verbunden. Gerührt habe ich In Göttweig in einer Ausstellung einen Brief von ihm aus der unmittelbaren Nachkriegszeit gesehen, in dem er sich besorgt erkundigt, wie es in "seinem lieben Rabenstein" denn so gehe. Ich hatte das Glück, dem Kardinal mehrmals zu begegnen.

Besonders in Erinnerung ist mir ein Seminar zur Wissenschaft und Ethik in Südfrankreich geblieben, in der wir mit den Teilnehmern tatsächlich in vier Sprachen Gespräche führen konnten. Natürlich war niemand außer ihm aller sieben Sprachen, die der Kardinal fließend beherrschte, mächtig. Es ist schön, dass nunmehr im Pielachtal nachhaltig und sein Andenken ehrend, weiterhin die Kardinal König Gespräche stattfinden,.

Wie gesagt, ein schönes Stück Heimat, das Dirndltal, Gott erhalt's.